I.G.* dachte sich nicht viel dabei, als ihn ein gewisser D.L.* per Instagram kontaktierte: Er sei Inhaber einer bekannten Männeragentur in Zürich und habe bereits einige bekannte Namen «rausgebracht». Der Modelscout lud I.G. noch am selben Abend zu einem Fotoshooting ein.
«Er hat mir extrem viele Nachrichten geschrieben und forderte mich dazu auf, ihm Bilder von mir zu schicken. Als ich gesagt habe, dass ich gerade im Gym sei, wollte er Fotos von meinem nackten Körper», sagt der St.Galler, der seit einigen Jahren in Zürich studiert und nebenbei als Model jobbt.
«Er stand in Unterhosen vor mir»
Trotz mulmigem Gefühl verabredete sich I.G. mit dem Scout in seinem Studio. «Ja, ich hätte besser auf mein Bauchgefühl hören sollen, aber in der Modebranche gibt es eben einige schmierige Typen. Also hab ich mich selbst beruhigt und wollte mir ein echtes Bild verschaffen.» Im Studio angekommen, sei D.L. zunächst unauffällig gewesen. Dann bot er I.G. ein Glas Wein an und forderte ihn auf, sich auszuziehen, um Fotos zu machen.
«Den Wein hab ich abgelehnt, aber ich habe mich entkleidet, denn auch das ist zunächst bei einem Shooting nicht ungewöhnlich. Nach einigen Fotos zog er sich ebenfalls aus und wollte sich auf mich stürzen. Da haben die letzten Alarmglocken geschellt, ich hab meine Sachen gepackt und bin nur noch gerannt.»
Kein Einzelfall – Dutzende betroffen
Zu Hause begann I.G., im Internet zu forschen. Er findet einen Instagram-Account, wo Betroffene ähnliche Ereignisse schildern. «Als ich das gelesen habe, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich wusste, dass ich eines von sehr vielen Opfern bin.»
Auf dem Instagram-Account werden Chatverläufe und Sprachnotizen zwischen dem Model-Agent und jungen Männern gepostet. Viele berichten von ähnlichen Erfahrungen wie I.G. Manche davon sind minderjährig. Ein Betroffener erzählt: «Als ich 16 war, da hat dieser Mann mich unsittlich berührt und Nacktfotos von mir verlangt. Er hat gesagt, dass er mich gross rausbringe. Ich wollte nie darüber sprechen, weil ich mich geschämt habe – aber ich hätte es früher machen sollen.»
Anzeige wegen sexueller Belästigigung
In einem Chatverlauf schreibt der Scout: «Offen für suck saturday and fuck also? Wichtig zu wissen. Du weisst wo ich dich hingebracht habe oder?» Die Kommentare unter den veröffentlichten Bildern lassen kein gutes Haar am Modelscout. So schreibt einer: «Mir hat er genau das Gleiche geschrieben. Dieser Typ ist widerlich. Es wird Zeit, dass er aus dem Verkehr gezogen wird.»
#MeToo auch bei Männern
Auch Promis wie Bachelorette-Gewinner Kenny kennen N.L. So schildert er seine Erfahrungen auf Instagram: «Mit 18 habe ich es auch mal mit der Modelkarriere versucht, aber bei dem Typen hat es mir dann sofort abgelöscht. Ich habe Freunde, denen ist das Gleiche passiert.» Die Vorfälle lösen in den sozialen Medien eine weitere #MeToo-Welle aus. «Sexuelle Belästigung gibt es auch bei Männern, und zwar besonders in der Modebranche», schreibt ein User.
I.G. hat den Vorfall bei der Stadtpolizei Zürich gemeldet und hofft, dass niemand mehr auf ihn reinfällt. Noch gilt die Unschuldsvermutung.
*Name geändert und der Redaktion bekannt.