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11.06.2023
11.06.2023 07:19 Uhr

Politwerbung trotz Stopp-Kleber

Werbung von politischen Parteien gilt als «offizielle Sendung»und darf auch in die Briefkästen mit Aufkleber verteilt werden.
Werbung von politischen Parteien gilt als «offizielle Sendung»und darf auch in die Briefkästen mit Aufkleber verteilt werden. Bild: Markus Lorbe
Werbung ist nicht gleich Werbung: Politisches verteilt die Post auch in Briefkästen, auf denen ein «Stop Werbung»-Kleber prangt. Und sie darf das.

Nicht wenige dürften sich in den letzten Tagen über das viele bunte Papier im Briefkasten gewundert haben. «Jetzt Liste 3 wählen», «Unsere Frau fürs Bezirksgericht» – so und ähnlich klingt es auf Broschüren und Flyern jeweils vor Wahlen oder Abstimmungen.

Am 18. Juni stehen Urnengänge an, und vor allem im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2023 werden Parteien wieder um die Gunst der Wählerinnen und Wähler buhlen – unter anderem, indem sie Flyer und Werbematerial per Post verschicken. Das sei attraktiv, denn so erreichten sie Menschen, die sonst kaum Medien konsumieren oder allgemein der Werbung ablehnend gegenüberstehen, schreibt die Post in einem ihrer regelmässigen Blog-Beiträge.

Deutschschweiz werbekritischer

Denn zwischen einer Broschüre gegen eine Vorlage oder der Wahlwerbung für einen Kandidierenden und dem neuesten Duft oder den höchsten Möbelrabatten gibt es einen grossen Unterschied: Die ersten beiden Beispiele gelten für die Post gar nicht als Werbung.

Rund 61 Prozent der Schweizer Briefkästen sind mit einem Schild oder einem Kleber mit der Information «Bitte keine Werbung» versehen. Damit äussern die Briefkastenbesitzer den Wunsch, keine unadressierte Werbung zu erhalten. Das heisst: Werbeflyer oder -broschüren, die an alle Haushalte einer bestimmten Postleitzahl oder eines Orts verteilt werden, sind in diesen Briefkästen nicht willkommen. Der Anteil Briefkästen mit einem entsprechenden Hinweis ist in der Deutschschweiz mit 63 Prozent am höchsten. In der Romandie liegt er bei 58 Prozent und in der italienischsprachigen Schweiz bei 55 Prozent. Einen Stopp-Werbung-Vermerk müssen alle Firmen beachten, die unadressierte Werbung verteilen. Auch die Post respektiert diesen Wunsch. Adressierte Werbung hingegen stellt die Post auch zu, wenn ein Stopp-Werbung-Vermerk am Briefkasten angebracht ist. Dazu ist sie verpflichtet.

Politisches ist «offizielle Sendung»

Was gilt aber für unadressierte Flyer und Broschüren von politischen Parteien? Darf die Post sie trotz Stopp-Werbung-Vermerk zustellen? Die Antwort ist Ja. Denn Werbung von politischen Parteien gilt als sogenannte «offizielle Sendung» – ungeachtet des Inhalts oder Wahrheitsgehalts. Damit Sendungen als «offiziell» gelten und von der Post und anderen Organisationen in alle Briefkästen zugestellt werden dürfen, müssen sie zu einer der folgenden Kategorien gehören:

  • Sendungen von Behörden, von Verwaltungen und öffentlichen Unternehmen des Bundes, von Kantonen und Gemeinden, soweit diese Absender mit ihren unadressierten Sendungen nicht vorwiegend kommerzielle Zwecke verfolgen;
  • Sendungen von politischen Parteien;
  • Sendungen von überparteilichen Komitees, die in einem konkreten Zusammenhang mit bevorstehenden Wahlen und Abstimmungen stehen;
  • Sendungen nicht kommerzieller Natur, die dem Informationsbedürfnis einer breiten Öffentlichkeit entsprechen (beispielsweise Blutspendeaufrufe, Informationen über Bauvorhaben, Lärm oder Verkehr, Unterbrüche von Versorgungsleitungen wie Strom, Wasser, Gas, Telefon, Sirenentests);
  • Sendungen von Entsorgungs- und Recyclingunternehmen (Kleider- und Schuhsäcke, «Batteriebags» und so weiter);
  • Sendungen von gemeinnützigen, steuerbefreiten Organisationen, die von der Stiftung Zewo zertifiziert sind oder deren gemeinnütziger Charakter aus anderen Gründen unbestritten ist, nicht jedoch kommerzielle Prospekte mit Shopartikeln;
  • amtliche Anzeiger und andere amtliche Publikationsorgane.

Die Post stütze sich bei dieser Regelung auf die Grundsätze der Schweizerischen Lauterkeitskommission SLK (siehe Kasten) und habe sich dazu auch mit dem Konsumentenschutz abgesprochen, schreibt die Post in ihrem Blog weiter.

«Beitrag zur Meinungsbildung»

Der Politikwissenschaftler Michael Hermann sieht in den Briefkästen der knapp vier Millionen Schweizer Haushalte auch einen Faktor für eine pluralistische Meinungsbildung. Er sagt: «Einem Plakat am Strassenrand kann man schlecht ausweichen. Ähnlich verhält es sich mit dem Briefkasten. Man kann nicht steuern, wer einen Flyer hinterlässt.» Die Wählerinnen und Wähler werden laut Hermann via Briefkasten eher noch mit anderen Meinungen und Ideen konfrontiert als zum Beispiel auf den sozialen Medien. Denn online entscheiden Algorithmen, welche Inhalte zum jeweiligen User passen. So entstehen «Blasen», in denen man Abweichendes nicht mehr mitbekommt.

Der Postweg führt laut Hermann auch dazu, dass der wachsende Bevölkerungsteil, der keine News konsumiert, dennoch mit politischen Inhalten in Kontakt kommt: «Es ist für Parteien und Komitees fast die einzige Möglichkeit, diese Gruppen zu erreichen.»

Mehr zur Schweizerischen Lauterkeitskommission auf www.faire-werbung.ch.

Goldküste24