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Kolumne
18.04.2021
18.04.2021 13:35 Uhr

«Menschenrechtsverletzung oder Schutz älterer Menschen?»

Lucia Pangratz: «Das, was betagten Menschen genommen wird, ist ihr komplettes bisschen Glück am Lebensende.»
Lucia Pangratz: «Das, was betagten Menschen genommen wird, ist ihr komplettes bisschen Glück am Lebensende.» Bild: Linth24
Sind wir es den älteren Menschen nicht schuldig, ihnen ihre Selbstbestimmung und Würde zu lassen? Die renommierte Naturheilpraktikerin Lucia Pangratz mit einer Analyse.
  • Kolumne von Naturheilpraktikerin Lucia Pangratz

Das Schlimmste ist gar nicht die Einsamkeit. Es war nicht das Verbot, mit dem Rollstuhl in den Garten zu fahren, wo die Frühlingssonne scheint. Es war nicht die Stille und nicht die Menschenleere auf den Fluren und schon gar nicht die Angst vor dieser vermaledeiten Seuche namens Covid-19. Es ist die Tatsache, dass niemand gefragt hat.

Kein Besuch, Essen alleine im Zimmer

Vierzehn Quadratmeter. Ein Bett. Ein Stuhl. Ein Fernseher. Ein kleiner Beistelltisch. Das ist das Reich von vielen Senioren in ihrem Pflegeheim. Die meisten Bewohner sind über 80 Jahre alt und haben Vorerkrankungen. Somit gehören Senioren in Pflegeheimen zur Risikogruppe für Covid-19, die es zu schützen gilt. Und aus diesem Grund durften Senioren keinen Besuch empfangen und nicht hinausgehen. Frühstück, Mittag und Abendbrot wurde allein im Zimmer zu sich genommen. Wenn es zu einem Corona-Verdachtsfall unter den Pflegern kommt, dürfen Senioren im Altenheim noch nicht einmal mehr auf den Flur vor ihrem Zimmer. Im Strafvollzug nennt man einen solchen Zustand Einzelhaft.

Verletzung von Selbstbestimmtheit

Die Isolierung von Älteren ist eine Verletzung der Selbstbestimmtheit. Auch wenn es im Alter aufgrund von Einschränkungen und Krankheit immer mehr pflegerischer Unterstützungsleistung bedarf, steht die Selbstbestimmung und die Achtung der Würde des Menschen an erster Stelle. Das gilt auch zu Corona-Zeiten. Besonders staatliche Behörden haben die Würde älterer Menschen überall und jederzeit zu achten.

Klar, wir alle leben im Moment mit Einschränkungen unseres normalen Lebens. Das Besondere an der Situation von Senioren ist aber: Das, was ihnen genommen wird, ist ihr komplettes bisschen Glück am Lebensende. Das, was die Qualität ihrer letzten Tage ausmacht.

Zweifel an der Umsetzung

Es ist ja schön, dass wir Menschen so viele Anstrengungen unternehmen, um Leben zu retten, doch Zweifel an der Umsetzung bleiben. Wir nehmen für die Rettung von Senioren unfassbar viel auf uns, doch tun wir ihnen dabei nicht etwas Schlimmes an, was wir später im hohen Alter selber nicht wollen?

Die WHO definiert Gesundheit auch als geistiges Wohlbefinden des Einzelnen. Daraus wäre abzuleiten, dass Besuche und Anwesenheit von Familie sowie Ausgang von Älteren zur Gesundheit beitragen. Doch diese Gesundheit nehmen wir Senioren einfach weg.

Niemand hat gefragt

Niemand hat die Senioren gefragt, ob sie ihre letzte Lebenszeit so verbringen möchten. Man hört nämlich von Vielen: «So will ich nicht leben!» oder «Wenn dieses Leben der Preis dafür ist, nicht an Corona zu sterben, dann möchte ich gar nicht geschützt werden.» Denn woran man letztendlich stirbt, spiele am Ende ja keine Rolle.

Viele leiden psychisch

Für Senioren sowie auch deren Angehörige ist es eine starke Belastung. Besonders psychisch leiden viele Menschen unter Einsamkeit. Anderen macht es zu schaffen, dass sie ihre Angehörigen im Pflegeheim nicht oder nur unter strengen Schutzmassnahmen besuchen können. All diese Sorgen dringen nur über Angehörige und Pfleger nach aussen. Die Älteren selbst sind meist nicht mehr in der Lage, dieses lautstark mitzuteilen.

Tod hat seinen Schrecken verloren

Der Tod hat in diesem Wartesaal namens Pflegeheim seinen Schrecken verloren. Viel größer als die Angst zu sterben sei an solchen Orten die Angst, in Unwürde und ohne Sinn zu leben. Viele Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen wissen, dass das nächste große Abenteuer das jetzt noch kommt, der Tod ist. Und für viele Menschen, die bereits den größten Teil ihrer Lebensreise hinter sich haben, ist das auch völlig in Ordnung. Vor dem Tod selbst haben diese Menschen meist keine große Angst. Sehr wohl aber vor einem qualvollen Leiden auf dem Weg dahin. Menschen müssen sterben, es ist der normale Verlauf eines Lebens; Geboren werden um zu sterben.

Sind wir es diesen Menschen, die einen grossen Beitrag zum Wohlstand dieses Landes beigetragen haben, nicht schuldig, ihnen ihre Selbstbestimmung und Würde zu lassen? Haben Sie es nicht verdient, einen menschenwürdigen Lebensabend zu geniessen?

Ich glaube in unserer «Panik» vor dem Coronavirus haben wir vergessen, dass wir selber für unsere Gesundheit verantwortlich sind und niemand anders sonst.

Lucia Pangratz

Lucia Pangratz, Eidg. Dipl. Naturheilpraktikerin TEN, aus Siebnen verbindet Schul- und Komplementärmedizin und zeigt bei Linth24 auf, wie sich diese sinnvoll anwenden lässt.

www.complimed.ch

Lucia Pangratz, Eidg. dipl. Naturheilpraktikerin