Das Klage-Abenteuer des Stadtrates war eine ausgeklügelte Sache. Sie begann mit einem Brief des Leiters der Kesb Linth. Anfang Oktober 2015 gelangte der damalige Kesb-Präsident in Absprache mit dem Stadtrat mit einer «Selbstanzeige» an die Kesb-Aufsicht des Kantons St. Gallen. Von dieser verlangte er die Prüfung der von den ON bis zu diesem Zeitpunkt beschriebenen vier Kesb-Fälle. Beleg 1
Mit dieser Prüfung beauftragte sich die St. Galler Amtsleiterin gleich selbst. Das machte für die Kläger Sinn. Denn alle kannten sich bestens. Der Kesb-Leiter und die Amtsleiterin schrieben sich per E-Mail mit «Liebe E.» und «Lieber W.» an. Beleg 2 Und der die Klage einleitende Stadtpräsident Erich Zoller sass mit der St. Galler Beamtin in der Begleitgruppe der kantonalen Kesb-Studie. Die Klage-Akteure nahmen die Prüfung der kritisierten Kesb-Fälle somit faktisch «en famille» vor.
Irrelevantes nach St. Gallen
Bevor die St. Galler Amtsleiterin zur Prüfung schritt, schickte ihr die Kesb-Linth «eine Stellungnahme zu den vier Fällen». Selbstverständlich trug das nichts zu einer seriösen Fall-Prüfung bei. Die Kesb-Linth-Führung hat sich darin mit Sicherheit nicht in ein schlechtes Licht gestellt.
Zusätzlich stellte die Kesb Linth dem Kantonsamt noch viel Ballast zu. So ein «Sicherheits- und Gesundheitskonzept» der Kesb Linth, den «Ferien- und Gleitzeitsaldo» der Kesb-Mitarbeitenden oder, Achtung, ganz wichtig: «Anstehende Arbeiten im Sekretariat»(!).
Betroffene kamen nicht zu Wort
Am 12. November 2015 reiste die St. Galler Amtsleiterin dann noch für einen halben Tag nach Rapperswil. Dort hörte sie das Führungsduo der Kesb Linth an. Entsprechend schrieb sie zu den jeweiligen Kesb-Fällen in ihren späteren «Prüf»-Bericht in folgender oder ähnlicher Form: «Der Präsident und die Vizepräsidentin (der Kesb Linth) schildern das Vorgehen wie folgt: …». Beleg 3
Die Kantonsbeamtin schrieb in ihre «Prüfung» somit das, was ihr die Rapperswiler Kesb servierte. Mit den von den Kesb-Eingriffen betroffenen Personen oder mit Zeugen redete sie hingegen kein Wort. Lausiger und einseitiger kann die Prüfung von in der Öffentlichkeit kritisierten Amtshandlungen nicht sein.
Stadtrat klagte auf luscher Basis
Ihren Bericht schrieb die St. Galler Kesb-Amtsleiterin am 2. Februar 2016. Darin folgerte sie auf Basis ihrer faktischen Nicht-«Prüfung», die Kesb Linth sei «in allen Fällen mit der nötigen Sorgfalt vorgegangen». Sie habe «nie unverhältnismässig reagiert und habe ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt». Beleg 4
Auf diesen tönernen Füssen fällte der Stadtrat seinen Klage-Entscheid gegen die ON. In seiner Pressemitteilung dazu schrieb er:
«Die kantonale Aufsichtsbehörde hat (…) sowohl die von den Obersee Nachrichten kritisierten Fälle als auch die Funktionsweise der Kesb Linth überprüft. Das Resultat ist eindeutig: Die Kesb arbeitet tadellos, ist gut geführt und organisiert. In allen von den Obersee Nachrichten kritisierten Fällen ist die Kesb Linth korrekt und verhältnismässig vorgegangen.»
Deshalb, und weil die kantonalen Gerichte die Kesb in allen kritisierten Fällen geschützt hätten, sei «es nicht übertrieben, die Berichterstattung der Obersee Nachrichten als eine die Kesb Linth verunglimpfende Kampagne zu bezeichnen…»
Die Kesb Linth, vertreten durch die Stadt Rapperswil-Jona, würden gegen die ON und ihre Redaktoren Klage wegen Persönlichkeitsverletzung einleiten. Beleg 5
Damit erweckte der Stadtrat bei der Bürgerschaft den Eindruck, die von den ON beschriebenen Kesb-Fälle seien umfassend geprüft worden. Das aber war nichts anderes als ein riesiger Bluff.
Übelriechende zeitliche Abläufe
Übelriechend war auch die zeitliche Reihenfolge der Klage-Einleitung: Die Kantonsbeamtin schrieb ihren Kesb-«Prüf»-Bericht, wie erwähnt, am 2. Februar 2016. Am 9. Februar ging er gemäss Eingangsstempel bei der Kesb und folglich auch beim Stadtrat ein.
Der Stadtrat jedoch hatte seinen Klage-Entscheid bereits schon am 11. Januar 2016 gefällt. Er musste somit schon einen Monat zuvor gewusst haben, was die Kantonsbeamtin in ihren Bericht schreibt. Bekam er ihn vor der Reinschrift zum Korrekturlesen?
Geht es um etwas Banales, so kann man über solches hinwegsehen. Wenn ein Stadtrat aber mit Hunderttausenden von Steuerfranken auf Basis eines derart luschen Papiers eine Millionen-Klage einleitet, ist das bedenklich.