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Kanton
09.10.2022
10.10.2022 10:04 Uhr

Strittige Temporeduktion – rund 4'000 Lenker gebüsst

Im Jahr 2020 wurde die Geschwindigkeit am Eingang von Stein von 70 km/h auf 50 km/h gesenkt.
Im Jahr 2020 wurde die Geschwindigkeit am Eingang von Stein von 70 km/h auf 50 km/h gesenkt. Bild: Google Streetview/mapillary(mcliquid)/Symbolbild Stapo SG/Toggenburg24
Es gibt grosse Zweifel an der Rechtmässigkeit der Temporeduktion in Stein im Toggenburg. Die Kapo St.Gallen scheint Empfehlungen ignoriert zu haben. Vielleicht um die Kassen des Kantons aufzubessern?

4'000 Ordnungsbussen verteilt – über 160'000 Franken für Kanton

Aufgrund einer Leserzuschrift hat Toggenburg24 erfahren, dass die Kantonspolizei am Rande des Dorfes Stein vermehrt Geschwindigkeitskontrollen durchführt. Vor 2020 galt auf dem besagten Abschnitt noch eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Im Jahr 2020 wurde diese auf 50 km/h gesenkt.

Gemäss Pascal Häderli, Mediensprecher bei der Kantonspolizei St.Gallen, hat die Kantonspolizei ab dem Jahr 2021 auf dem Abschnitt an «vier Tagen Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt. Ausserdem wurde einmalig für die Dauer von rund sechs Wochen eine semistationäre Messanlage aufgeschaltet. Insgesamt wurden über 66'000 Fahrzeuge kontrolliert. Dabei wurden bei 3'977 Fahrzeugen eine Geschwindigkeitsübertretung festgestellt. Davon konnten 91 Geschwindigkeitsübertretungen nicht im Ordnungsbussenverfahren abgehandelt werden». Wenn ein Geschwindigkeitsverstoss nicht im Ordnungsbussenverfahren abgehandelt werden kann, erlässt die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl. Zudem droht der Entzug des Führerausweises für mindestens einen Monat.

Selbst wenn jeder der Fahrzeuglenker «nur» die kleinstmögliche Ordnungsbusse von 40 Franken erhalten haben sollte, spülten die Kontrollen knapp 160'000 Franken in die Kasse des Kantons. Der wirkliche Betrag dürfte um einiges höher sein, da auch viele Automobilisten eine höhere Busse als 40 Franken erhalten haben dürften.

Tiefbauamt macht widersprüchliche Angaben

Im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens des Tiefbauamtes wird im technischen Bericht die Geschwindigkeitsreduktion in Stein als Lärmschutzmassnahme begründet. Auf Anfrage teilt das Tiefbauamt mit, dass diese Information im technischen Bericht falsch sei. Vielmehr handele es sich bei Anpassung der Innerortsgeschwindigkeit lediglich um eine Bereinigung der Situation, verursacht durch die Veränderungen des Siedlungsrands.

Ein Augenschein vor Ort widerspricht dieser Aussage vehement. Alle Häuser an der Strasse sind sicherlich über 30 Jahre alt. Schon seit sehr langer Zeit wurde dort kein neues Haus gebaut. Eine Veränderung des Siedlungsrandes hat es in den letzten Jahrzehnten gar nie gegeben.

Kantonspolizei ignoriert BFU-Empfehlungen

Gemäss der Signalisationsverordnung darf eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nur im «dichtbebauten Gebiet» aufgestellt werden. Die BFU (Beratungsstelle für Unfallverhütung) hat dazu Empfehlungen erlassen (können hier abgerufen werden):

Die Kapo ignorierte nicht nur einen Punkt der Empfehlung, sondern gleich drei Punkte. Damit eine Beschilderung mit 50 km/h zulässig ist, müssen alle Punkte erfüllt sein. Bild: BFU

Damit eine Signalisation von 50 km/h zulässig ist, müssen die obigen BFU-Punkte kumulativ erfüllt sein. Ist ein Punkt nicht erfüllt, ist eine Beschilderung von 50 km/h unzulässig. Auf der vorliegenden Strecke sind gleich drei Punkte nicht erfüllt. So stehen auf einer Strassenseite nur zwei bis drei Häuser weniger als 15 Meter vom Strassenrand entfernt und nicht die geforderten fünf (BFU-Punkt 3). Zudem ist der Abstand zwischen den Gebäuden so gross, dass die Strecke als Aussersortsstrecke wahrgenommen wird (BFU-Punkt 2). Selbst für den Fall, dass das Gebiet «Säge» als dichtbebautes Gebiet angesehen werden sollte, ist der Abstand zum nächsten dichtbebauten Gebiet (mehr als fünf Häuser auf einer Strassenseite mit Abstand < 15m zur Strasse) ca. 303 Meter und somit mehr als Grenze von 200m. 

Selbst wenn man das Gebiet «Säge» als dichtbebautes Gebiet ansehen würde, ist der Abstand zum nächsten dichtbebautem Gebiet (Ortskern Stein) mehr als 300m (maximal zulässig für Beschilderung mit 50 km/h wäre 200 Meter). Bild: Geoportal

Die Kapo schreibt auf Anfrage, dass «die Anordnung ist mit der örtlichen Situation, der fortgeschrittenen Überbauungsentwicklung und dem daraus resultierenden Erscheinungsbild begründet.» Diese Argumentation wirft Fragen auf, wurde doch dort sicherlich in den letzten 30 Jahren (wahrscheinlich noch viel länger) kein neues Haus mehr gebaut. Auf die Frage, ob die Kapo aufgrund der Vorwürfe eine Neubeurteilung durchführen würde, antwortet die Kapo: «Nein; ein Grund für eine Neubeurteilung liegt nicht vor.»

Niemand kontrolliert Kantonspolizei und Tiefbauamt

Es ist nicht das erste Mal, dass die Kantonspolizei und das Tiefbauamt betreffend Temporeduktionen negativ auffallen. So führte das Tiefbauamt als Begründung zur Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf der Umfahrung Ebnat-Kappel von 100 km/h auf 80 km/h im Jahr 2021 die fehlende Überholsichtweite als Reduktionsgrund auf, obwohl bereits seit 2019 eine Sicherheitslinie das Überholen auf der ganzen Strecke verbietet. Ohne den technischen Bericht auf seine Richtigkeit zu prüfen, was eine zwingende Aufgabe der Kantonspolizei im Falle einer Temporeduktion ist, bewilligte sie die Temporeduktion auf der Umfahrung.

Aufgrund der Häufung von solchen Vorfällen ist es höchst fraglich, ob die Kantonspolizei ihre Aufgaben im Bereich der Geschwindigkeitsfestsetzung korrekt erfüllt. Es liegt am Sicherheits- und Justizdepartement unter der Leitung von Fredy Fässler (SP) sowie an der Vorsteherin des Bau- und Umweltdepartementes, Susanne Hartmann (Die Mitte), ihre Behörden wieder besser in den Griff zu kriegen, damit sich diese an die gesetzlichen Vorgaben halten. Dem Bürger bleibt schlussendlich nur der Rechtsweg.

Redaktion Toggenburg24 / Linth24