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Rapperswil-Jona
25.11.2024
26.11.2024 08:01 Uhr

Piotr Mojski: «Wir Polen möchten uns im Schloss gern einbringen»

Der Präsident der polnischen Stiftung Libertas, Piotr Mojski.
Der Präsident der polnischen Stiftung Libertas, Piotr Mojski. Bild: zVfg
Die Stiftung Libertas bedauert die Absenz der Geschichte Polens anlässlich der Wiedereröffnungsfeier. Stiftungspräsident Piotr Mojski, im Interview mit Linth24.

Die Stiftung Libertas ist Besitzerin des Polenmuseums Rapperswil. Ihr Präsident, Piotr Mojski, gelangte mit einem Schreiben an Linth24. Darin teilte er mit, die Vertreter des Polenmuseums seien erstaunt gewesen, dass die Geschichte der Polen im Schloss Rapperswil an der kürzlich abgehaltenen Eröffnungsfeier praktisch vollkommen übergangen worden sei. Das Interview mit Präsident Piotr Mojski wurde schriftlich geführt.

Herr Mojski, Sie sind unzufrieden mit der Eröffnungsfeier des Schlosses Rapperswil. Was lief falsch?
Die Eröffnungsfeier war ein feierliches und freudiges Ereignis. Für uns Polen, die wir seit Jahrzehnten mit dem Schloss Rapperswil verbunden sind, löste diese Feier einen neuen, anderen Blick auf dieses wundervolle Gebäude voller polnischer Andenken aus, das in allen Elementen des Schlosses sichtbar ist. Seit 1982 besuche ich das Schloss regelmässig und fühle mich zusammen mit den Mitarbeitern des Polnischen Museums mit dem Schloss verbunden. Bei der Zeremonie traten neue Verwalter und neue Gesichter auf, die ich früher nie im Schloss gesehen habe. Es war ein seltsames und sentimentales Gefühl zugleich.

««Es war ein seltsames und sentimentales Gefühl.»»
Piotr Mojski

Wurden Sie nicht in die Gestaltung der Feier eingebunden?
Die Organisation der Eröffnungszeremonie war perfekt vorbereitet. Besonders beeindruckt hat mich die Enthüllung der Kapelle – des Mausoleums von Tadeusz Kościuszko, dem Helden des polnischen Freiheitskampfes und einem amerikanischen Helden. Er war der Begründer von West Point USA, der berühmtesten Militärakademie der Welt. Tadeusz Kościuszko starb in Solothurn, wo er am Ende seines Lebens in einer Sozialhilfeorganisation tätig war.

Dann war ja alles in Ordnung.
Die Enthüllung der Kapelle, angereichert mit einer feierlichen Ansprache durch Marek Minarczuk, dem Geschäftsträger der polnischen Botschaft in Bern, betonte die Präsenz der Polen in Rapperswil und die Verbindung des Schlosses mit der polnischen Nation. Herr Minarczuk schloss seine Rede mit der Hervorhebung der aussergewöhnlichen Freundschaft zwischen Polen und Rapperswil ab. Die Erinnerungen an den Prozess der Renovierung und des Wiederaufbaus des Schlosses waren äusserst interessant.

Was fehlte denn?
Die jüngste Geschichte des Schlosses Rapperswil fehlte während der Feier. Die Tatsache, dass Graf Władysław Plater das zerstörte Schloss mit eigenen Familienmitteln wiederaufbaute, wurde völlig ignoriert. Er errichtete auf dem Schlosshügel die Barer-Säule – die «Polen Säule» mit dem Wappen des Königreichs Polen und Litauen und der legendären Inschrift «Magnas res Libertas». Plater brachte auch das polnische Wappen am Pulverturm an: einen Adler mit zwei Wappen des Königreichs Polen und des litauisch-polnischen Adels. Beide sind ein Markenzeichen der Rapperswiler Schlosses.

Was geschah danach mit dem Schloss?
Nachdem die Sammlung des Polnischen Nationalmuseums 1927 nach Polen verlegt wurde, stand das Schloss bis 1936 leer. Der Pachtvertrag mit der Familie Plater galt jedoch noch bis 1969. Danach wurde gemäss dem Testament von Graf Plater im Schloss das zeitgenössische Museum Polens eingerichtet.

Was fehlte noch in den feierlichen Reden zur Schlosseröffnung?
Ein wichtiger Teil, der fehlte, war, dass im Juni 1940 nach Kämpfen gegen die Wehrmacht in Frankreich 13'000 polnische Soldaten der 2. Schützendivision in der Schweiz interniert wurden. Die Polen leisteten der Schweiz im zweiten Weltkrieg grosse Hilfe, so zum Beispiel auch bei der Fruchtbarmachung der Linthebene. Das Polenmuseum mit seiner Bibliothek beschäftigt sich sehr mit diesen Themen. Auf solche wichtigen Gegebenheiten wurde mit keinem Wort eingegangen. Die damals internierten Soldaten trafen sich deshalb im Museum immer wieder, um Kultur und Geschichte zu pflegen. Die Internierung der Polen in der Schweiz war eines der wichtigen Ereignisse in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs. 2020 war die 150 Jahre Jubiläumsfeier der Zusammenarbeit der Rapperswiler mit den Polen in der Schweiz.

««Dass Graf Plater das zerstörte Schloss wieder aufbaute, wurde ignoriert.»»
Piotr Mojski

Wie kam es zur Gründung eines Vereins Freunde des Polenmuseums?
Das Museum wurde 1952 aufgrund der provokativen Aktionen von Vertretern der kommunistischen Regierung Polens beschlossen. Der Pachtvertrag für das Schloss wurde nach 82 Jahren gerichtlich gekündigt und die Sammlungen kommunistischer Propaganda nach Polen transportiert. Die Rapperswiler haben nie wirklich ein kommunistisches Regime in Polen anerkannt.

Wann startete das Polenmuseum?
Im Jahr 1954, vor 70 Jahren, gründeten Schweizer und Polen den «Verein der Freunde des Polenmuseums in Rapperswil». Dieser war antikommunistisch und lehnte sich gegen das damalige Russland auf, das Polen besetzt hatte.

Gründer des Vereins waren Pater Josef M. Bocheński, Rektor der Universität Fribourg; Alfred Löpfe, der berühmte Slawist; Julian Godlewski, Philanthrop aus Lugano; die Gebrüder Bronarski, berühmte Musiker; Zdzisław Pręgowski, der Schweizer Architekt und Unternehmer; der Rapperswiler Politiker und Journalist Hans Rathgeb; Stadtrat Walter Domeisen Senior sowie die Direktoren des Radio Freies Europa in München.  

Wann eröffnete das Museum im Schloss?
1975, und zwar zum dritten Mal, welches im Frühling 2022 ein Ende fand. Die dritte Umsetzung des Polenmuseums war die reichhaltigste an lokalen und internationalen Veranstaltungen.

Wie kam das Polenmuseum bei der Bevölkerung an? 
Die Neugründung des Museums war breit abgestützt. Das Museum wurde eine anerkennte Institution. Es wurde von jährlich von rund 30’000 Menschen aus dem In- und Ausland besucht. Der geschätzte Wert der Sammlungen des Polenmuseums beträgt rund 40 Millionen Franken. Die von uns organisierten Konzerte füllten oft den Großen Rittersaal. Zahlreiche Symposien zogen Wissenschaftler aus aller Welt an, Ausstellungen polnischer und internationaler Künstler brachten Farbe in das Leben von Rapperswil.

Es gab doch noch ein Festival.
Ja, das Chopin Festival 2009 und hunderte andere Veranstaltungen. Rapperswil wurde von allen Präsidenten des freien Polens besucht, angefangen von Lech Wałęsa, dem legendären Anführer der «Solidarność»-Bewegung. Tausende Schweizer, darunter Hunderte von Rapperswil, empfingen Wałęsa am Marktplatz mit Blumen und wehenden polnischen Nationalflaggen.

Das Museum und unsere Anlässe wurde zu einem Zentrum für den Ideenaustausch zwischen der Schweiz und Polen.

««Das Schloss und die Stadt Rapperswil zogen Besucher aus aller Welt an.» »
Piotr Mojski

Wird das neue Schloss dem polnischen Anteil an dessen Geschichte gerecht?
Das muss jeder Besucher für sich selbst herausfinden. Die Geschichte des Polenmuseums wird anhand von Räumen voller Holzkisten, leeren Wänden und mehreren gut durchdachten Multimedia-Applikationen erzählt. In abgedunkelten Räumen bietet es aber einen ziemlich traurigen, aber auch nachdenklichen Eindruck. Die Kisten sind ein Symbol für die vorübergehenden, temporären Zustände, Umzüge und Eröffnungen des Museums. Die Inschriften auf den Holzkisten besagen, dass unschätzbare Exponate von Polen und polnischen Anhängern im Schloss angekommen sind. Vermitteln Kisten den Auszug der Polen aus dem Schloss in den Jahren 1927, 1951 oder 2022? Diese Frage muss jeder für sich beantworten.

Was brachten Umzug und Auszug noch mit sich?
Erinnern wir uns daran, dass der Umzug nach Polen im Jahre 1927 der einzig erfreuliche war: für die Polen, die gerade ihren Traum von Unabhängigkeit und Freiheit erhalten hatten. Polen wurde frei!

Für die Schweizer, weil sie die Polen bei der Verwirklichung ihrer Träume von Freiheit begleiteten. Freiheit, auch der wertvollste Wert für unsere Schweizer Gastgeber, wurde zum Ausdruck an der Polensäule angebracht: MAGNA RES LIBERTAS und POLENS UNSTERBLICHER GENIUS NACH HUNDERTJÄHRIGEM KAMPF MIT DER GEWALT NOCH UNBESIEGT RUFT AUF HELVETIENS FREIEM BODEN ZUR GÖTTLICHEN UND MENSCHLICHEN GERECHTIGKEIT. Diese damalige Freude sollte im neuen Schloss Ausstellung mehr in Ausdruck kommen.

Und die Auszüge 1951 und 2022?
Wie gesagt, Holzkisten in dunklen Räumen symbolisieren den Auszug im Jahre 2022. Sie fragen mich, ob dem polnischen Anteil an der Schlossgeschichte gerecht geworden sei. Ich denke, dass es trotz der Holzkisten an einer wirklichen Reflexion darüber mangelt, was das Polenmuseum für die Bewohner der Stadt über 150 Jahre lang war. Es gibt keine andere Stadt auf der Welt mit einer ähnlich bewegten Geschichte zwischen zwei Nationen.

««Es mangelt an Reflexion, was das Schloss für die Geschichte zweier Nationen war und ist.»»
Piotr Mojski

Was sollte die Bevölkerung über die Geschichte des Schlosses wissen? 
Ich glaube, dass die Besucher lernen sollten, weshalb das Schloss von Graf Władysław Plater gepachtet wurde. Warum er und seine Freunde ihre Mittel, ihre Zeit und ihre Gesundheit in den Wiederaufbau des damals ruinierten Schlosses investiert haben.

Im 19. Jahrhundert entstand im Schloss die Idee, ohne Blutvergießen für die Freiheit Polens zu kämpfen. Die polnischen Emigranteneliten entschieden sich für die Schweiz, sie entschieden sich für Rapperswil. Hier entstand das Konzept eines unblutigen Freiheitskampfes, der Jahre später in der friedlichen «Solidarnosc»-Bewegung und letztlich in der friedlichen Auflösung der Berliner Mauer und der Freiheit für 10 europäische Länder endete.

Was soll das Schloss vermitteln?
Dass Freiheit kein automatisches Geschenk ist, das ewig währt. Freiheit beinhaltet Verantwortung, für die wir kämpfen müssen. Tadeusz Kościuszkos Worte «FÜR UNSERE UND IHRE FREIHEIT» sind bis heute eine Inspiration für die polnische Nation, dies spiegelte sich in der spontanen Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge im Jahr 2022 wider. Die Polen haben in wenigen Monaten über 3 Millionen Ukrainer in ihren Häusern aufgenommen. Das ist ein Drittel der Schweizer Bevölkerung. Diese Worte von Kościuszko hier in Rapperswil ergaben Sinn für die Überlegungen des 19. Jahrhunderts, wie ein freies Polen aussehen sollte.

««Wir wollen gern zu dieser Tradition zurückkehren.»»
Piotr Mojski

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Ortsgemeinde als Besitzer des Schlosses aus?
Das wird die Zukunft zeigen. Wir werden uns bemühen, die Zusammenarbeit mit der Ortsgemeinde und der politischen Gemeinde wieder herzustellen. Vertreter beider Gemeinden waren in der Vergangenheit in den Vorständen des Vereins der Freunde des Polenmuseums und der Polnischen Kulturstiftung Libertas vertreten. Wir werden versuchen, Politiker, Sozialaktivisten und Nichtregierungsorganisationen in Rapperswil davon zu überzeugen, zu dieser wunderbaren Tradition zurückzukehren, wir würden uns im Schloss gern einbringen.

Sie wollen sich im Schloss inszenieren?
Wenn möglich ja. Wir sind offen für jede Form der Zusammenarbeit, die darauf abzielt, das Schloss Rapperswil in seiner vollen historischen und künstlerischen Gestalt zu präsentieren. Das Schloss soll offen sein und Besucher anlocken und zu einem Ort der Begegnung werden, das allen offensteht. Aber die Entscheidung über die Art der eventuellen Zusammenarbeit liegt bei Ortsgemeinde und der politischen Gemeinde. 

Welche Botschaft möchten Sie den Einwohnern von Rapperswil-Jona mitteilen?
Liebe Einwohnerinnen und Einwohner von Rapperswil-Jona, liebe Freunde, wir haben über 150 Jahre gemeinsames Dasein in Rapperswil und im Schloss hinter uns. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, einzigartig und faszinierend. Lernen wir uns besser kennen und schaffen wir gemeinsam wie unsere Vorfahren einen kulturellen und historischen Raum in Rapperswil, der sich zugleich auf die Herausforderungen der heutigen Welt und unserer gemeinsamen Zukunft fokussiert.

Markus Arnitz, Linth24