Bereits in der ersten Corona-Welle wurde befürchtet, dass häusliche Gewalt durch die angespannte Situation zunehmen könnte. Arbeitslosigkeit, Lockdown, Home-Schooling: Viele Familien standen in den letzten Monaten vor grossen Herausforderungen, Überforderung und Unsicherheiten.
Kaum noch freie Zimmer
Das spürt besonders das Frauenhaus St.Gallen: «Bei den Kindern haben wir teilweise eine Überbelegung. So etwas gab es wirklich selten. Und besonders nicht so lange», sagt Silvia Vetsch, Leiterin des Frauenhaus im «St.Galler Tagblatt».
Das Telefon klingelt ununterbrochen und die Zimmer sind alle belegt. Neun Frauen, bei neun Plätzen und elf Kinder werden derzeit betreut. Die Frauen und Kindern in andere Frauenhäuser zu versetzen sei kaum möglich. Auch in Zürich und Winterthur sehe die Lage etwa gleich aus, sagt Vetsch. Das Frauenhaus St.Gallen nimmt bedürftige, gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder aus dem Kanton St.Gallen und beiden Appenzell auf.
Normalerweise arbeite man mit dem Frauenhaus in Liechtenstein zusammen, aber das sei wegen Corona und der Einreisebestimmungen derzeit nicht möglich.
Hohe Dunkelziffer
Die eigenen vier Wände sind lange nicht immer ein Hort von Friede und Sicherheit: Letztes Jahr wurden knapp 20'000 Fälle von häuslicher Gewalt polizeilich registriert, das sind gut 1000 oder 6,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Darunter waren 29 vollendete Tötungsdelikte.
Das entspreche knapp zwei Drittel aller polizeilich registrierten vollendeten Tötungsdelikte in der Schweiz, schreibt das Bundesamt für Statistik (BFS); die Gesamtzahl betrug 46. Von den 29 häuslichen Tötungsdelikten ereigneten sich 15 in einer Partnerschaft, bei welchen 14 Frauen und ein Mann getötet wurden.
Die Zahlen für das Corona-Jahr 2020 könnten gemäss Beobachtungen noch einiges höher sein. Ausserdem gibt es eine enorm hohe Dunkelziffer.
«Viele Frauen haben nicht die Möglichkeit, ihrem Partner zu entkommen. Deshalb haben uns einige Frauen auch heimlich aus dem Keller oder dem Estrich angerufen», so Vetsch in einem Interview.