Home Region Sport Schweiz/Ausland Rubriken Agenda
Kanton
05.04.2020
05.04.2020 08:30 Uhr

Von Rohr: 30 Jahre nach Corona

Chris von Rohr trifft mit seiner erfolgreichen Kolumne in der "Schweizer Illustrierten" den Nerv der Leserschaft seit Jahren .
Chris von Rohr trifft mit seiner erfolgreichen Kolumne in der "Schweizer Illustrierten" den Nerv der Leserschaft seit Jahren . Bild: Linth24
Als Musiker gehen zahlreiche Hits auf sein Konto. Als Autor finden seine Gedankengänge grossen Anklang beim breiten Publikum. In seiner neusten Kolumne blickt Chris von Rohr in der Retrospektive auf Corona:

«13. März 2050. Mein Sohn, nimm Platz. Ich will dir von einem der unglaublichsten Ereignisse meines Lebens erzählen. Exakt heute vor 30 Jahren wurde unser gewohntes Leben in der Schweiz und um die ganze Weltkugel herum angehalten. Es war, als hätte jemand eine Fahnenstange in die Speichen der ganzen Maschinerie geschoben. Es war ein Freitagnachmittag, kurz vor Feierabend. Wir waren alle am Herumrennen, als Schulen, Restaurants, Bars, Konzertsäle und alle Einrichtungen, die sich die Herstellung und Wartung von Spassgefühlen zum Kerngeschäft gemacht hatten, von der Regierung für geschlossen erklärt wurden.

Die Schwächsten erstickten

Andere Unternehmen mussten den Betrieb auf Notfalldienst beschränken. Fast alle wurden nach Hause geschickt. Man durfte sich nicht mehr persönlich treffen, um zu jassen oder einen Schwatz zu halten. Der Grund dafür war das plötzliche Auftauchen eines Krankheitserregers namens Corona, der sich in Windeseile verbreitete und die Leute husten und die Schwächsten sogar grausam ersticken liess.

«Zahlreiche Ehen wurden beendet. Andere verkrochen sich gemütlich zusammen unter die Bettdecke und gönnten sich reichlich Spass.»
Chris von Rohr

Ich weiss noch, wie ich immer wieder dachte, gleich werde der Wecker läuten und mich aus dem bizarren Traum herausholen. Damals wurde unser Leben vollkommen auf den Kopf gestellt. Hätte es das Elend der Schwerkranken und Sterbenden nicht gegeben, würde ich meinen, es sei eine spannende Zeit gewesen. Einigen, auch mir, half die Sperrzeit, um endlich wirklich zu entschleunigen. Manche nutzten die Vollbremse, um sich leidenschaftlich zu streiten und herauszufinden, dass ihre Lebensgemeinschaft einem Irrtum zugrunde lag. Zahlreiche Ehen wurden beendet. Andere verkrochen sich gemütlich zusammen unter die Bettdecke und gönnten sich reichlich Spass. Ein Dreivierteljahr später wechselten die Ärzte aus den Intensivstationen in die Frauenkliniken, wo sie all den Coroninas und Coronaldos halfen, den Geburtskanal zu passieren.

Kommunikation ins Internet verlagert

Da durch das Kontaktverbot die Kommunikation gänzlich ins Internet verlagert wurde, ergaben sich auch die letzten digitalen Widerstandskämpfer. Jeder war auf Geräte mit Netzzugriff angewiesen. Sogar Schulkinder brauchten sie beim Lernen. Die Elektronikbranche wurde somit gestärkt. Die Leute gewöhnten sich daran, alles übers Internet zu erledigen. Mit der Zeit konnten sie fast nicht mehr anders.

«Es wurden Kurse angeboten, in denen die Leute lernten, elektronische Geräte aus der Hand zu legen und ihre Scheu zu besiegen.»
Chris von Rohr

Wer vor der Corona-Krise noch alleinstehend war, schaffte es kaum mehr, jemandem nahezukommen. Dieses Phänomen war bereits Jahre zuvor im asiatischen Raum aufgetreten. Dort übten inzwischen junge Leute das Kuscheln mit Menschenattrappen, und sie bezahlten dafür, den Kopf für ein paar Minuten einem echten Menschen in den Schoss zu legen. Nun war es auch bei uns so weit, dass wir Lösungen finden mussten, um einen drastischen Bevölkerungsrückgang zu verhindern. Es wurden Kurse angeboten, in denen die Leute lernten, elektronische Geräte aus der Hand zu legen und ihre Scheu zu besiegen. Die Fortgeschrittenen wurden zum Spazieren geschickt mit der Aufgabe, sich an der Hand zu halten. Wer dies bewältigt hatte, durfte sich zu zweit in private Räumlichkeiten zurückziehen.

«Die Luft wurde von Tag zu Tag sauberer, und der Himmel war frei von Kondensstreifen.»
Chris von Rohr

Der restlichen Natur ging es bestens. Die Luft wurde von Tag zu Tag sauberer, und der Himmel war frei von Kondensstreifen. Und stell dir vor: Obwohl die Gesamtsterblichkeitsrate normale Werte zeigte, überboten sich unausgewogene Medienberichterstattungen mit fragwürdigen Zahlen und paniktreibenden Statistiken. Dafür erlebten Berufe jener, die unsere Grundversorgung sicherten, und das unermüdliche Pflegepersonal endlich die Wertschätzung, welche sie schon längst verdient hätten. Für andere bedeuteten die überlangen, staatlich verordneten Zwangsschliessungen den wirtschaftlichen Tod. Viele Gewerbler und Selbstständige erholten sich nie mehr. Die Selbstmordraten stiegen, und Depressionen wurden zur Volkskrankheit Nummer eins.

Vater, und was haben die Menschen für Schlüsse aus dieser Geschichte gezogen? Hmmm, mein Sohn, da gäbe es noch einiges zu sagen, aber es ist spät geworden.»

Angaben zu Chris von Rohr

Weitere Kolumnen «Notabene» finden Sie auf der Website der «Schweizer Illustrierten».

Mehr über Chris von Rohr auf seinem Instagram-Account.

Autor, Musiker, Produzent: Chris von Rohr
Demnächst