Die Überlegenheit unserer Medizin, unsere Hygiene, unsere saubere Luft! Alles haben wir im Griff, technisch, organisatorisch, logistisch. Das Schicksal hat hier ausgespielt. Auch mir ging es wie Franz Steinegger: Er habe es erst kapiert, als sein Sohn ihm sagte, du bist über 70, im Ernstfall kriegst du kein Beatmungsgerät. So ist es grad das diffuse Gefühl von Unverwundbarkeit, das uns verletzbar macht.
Es erwischt uns auf dem falschen Fuss. Wir sind ja prächtig drauf, auch mit 75 nicht wirklich alt im klassischen Sinne. Es gibt uns einfach schon lange. Und nicht im Traum denken wir daran, still zu sitzen. Unser Ideal: der aktive Senior, fit, erlebnishungrig, unternehmungslustig. Stets in Bewegung, auf Reisen, auf E-Bike-Tour, zur nächsten Kreuzfahrt. Nichts mit ruhigem «Lebensabend», keine Ohrensessel-Gemütlichkeit.
Und jetzt das Gebot «Bleibt zu Hause!» Okay, nur – wie geht das? Es dämmert uns: Wir haben verlernt, was das Altern stets auszeichnete – so etwas wie Seelenruhe, eine innere Gelassenheit, die uns unabhängig macht vom aufgeregten Weltbetrieb. Könnten wir jetzt prima brauchen. Siehe Peter Bichsel, 85: sitzt seit Jahren einfach da, beobachtet und tagträumt, trinkt Wein, liest Klassiker.
Äusserlich passiert nichts, doch was für ein Leben, welch ein Reichtum an Empfindungen, welche innere Bewegtheit! Welche Freiheit! Mag sein, wir taugen nicht alle zu kleinen Bichsels. Doch ganz ohne dies hängen wir am Gängelband organisierter Ereignisse und konsumierbarer Erlebnisse, ohne die sind wir hohl, hilflos, depressiv. Der Staat kann da nicht einspringen. Für mein Leben in Kopf und Herz bin ich selber zuständig.
Was nun das Sterben angeht: Das mag schon leichter gefallen sein – mit Ausblick auf ewige Jagdgründe, Walhalla, Paradies, Himmel. Alter war Übergang, die Frist unwichtig, Hauptsache, man hatte gute Karten für den Übertritt. Heute? Altern als Endstation?